Die Überseestadt wächst und wächst. Sie wächst in die Höhe und in die Ebene. Immer, wenn ich mit meinem Fahrrad aus meiner Praxis komme fahre ich durch, vorbei... lange Straßen und neue Straßen. Häuser mit Glasfassaden. Aufgerissene Erde zu beiden Seiten. Maschinen. Baufahrzeuge. Männer mit Helmen. Lärm. Große Plakate an den Grenzen der Gelände, die werben für ein schönes Wohnen. Kaffee trinkende Frauen sind darauf zu sehen und Kinder. Ausgerissene Büsche, Grün, das tapfer an den Straßenrändern weiter wächst, nicht mehr lange. Flächen mit Schotter, in denen junge Birken um Wasser kämpfen.
Mein Opa ist in den 30er Jahren zur See gefahren und hat später bei der AG Weser gearbeitet. Die Bremer Hafengebiete liebte er sehr. Die Stadt und seine Häfen habe ich als Kind mit ihm durchstreift. Er ist inzwischen lange tot. Seinen Hafen würde er nur noch schwer wiedererkennen. Alte Gebäude liegen zertrümmert in Steinhaufen in der Landschaft. Alte Mauern stehen bröckelnd und nur noch auf Zeit im Weg. Die Wohnungen, die hier gebaut werden, hätten sich meine Großeltern nie leisten können. Ich stelle mir manchmal vor, wie mein Opa durch die neue Stadt geht, verwundert und fremd.
Ich bin auch nur noch Gast. Diese Stadt sieht mich an wie mit einer verspiegelten Brille, die großen Fenster reflektieren das Sonnenlicht. Die riesigen Häuser scheinen meine Wege distanziert und abschätzig zu beobachten. Es gab hier vor 10 Jahren ganz eigenartige Ecken, in denen die Vergangenheit atmete, alte Eisenbahnschienen, merkwürdige Objekte, Stahlträger die herumlagen, große Steine. Leere Gebäude. Steinerne Sitzplätze oben an der Weser. Der vergessene Hafen. Ich bin gerne da gewesen. Und auf großen Flächen wuchsen Kräuter, die von den unzähligen Schiffen aus Übersee eingeschleppt worden waren. Die habe ich gesammelt.
Die lange Geschichte des Hafens wird überschrieben. Als ich vor ein paar Tagen wieder durchfuhr näherte ich mich aus Interesse einer Riesenbaustelle, von der die Geräusche von zertrümmerten Wänden und vom Graben in der Erde drangen. Der Lärm war durchdringend und dröhnend. Durch den Zaun sah ich auf die großen Baumaschinen und die Kraterlandschaft aus Sand. Mein Blick wanderte von den Arbeitern weg in den Vordergrund. Dort steht eine halbhohe Mauer aus rotem Sandstein. Davor gibt es noch einen Grasstreifen neben riesigen, aus alten Gebäuden entfernten Metallteilen. Dort saß ein Hase.
Er fraß Gras. Und bei jedem Dröhnen zuckte er zusammen, bewegte die Ohren vor und zurück, schüttelte seinen Kopf und fraß dann weiter.
Ich weiß bis jetzt nicht, welche Gefühle ich mit diesem Hasen verbinde und was mich bewegt, einen Text über ihn zu schreiben. Ich kann es nicht in Worte fassen. Soll ich schreiben, dass mich eine tiefe Sorge erfasste, der Hase und seine Familie könnten eventuell auf dem Gelände eingesperrt sein? Dass ich mich fragte, wie sensibel das Gehör von Hasen ist? Dass ich einmal um das ganze Gelände fuhr um zu sehen, wo ein offener Ausgang war? Und dass ich mich fragte, wohin denn eine Hasenfamilie in der neuen Stadt umziehen könnte, wenn sie das überhaupt tun würde?
Ich habe mich gefragt, ob es möglich wäre, eine Hasenfamilie an einen anderen Ort zu bringen. Der Hase ist vielleicht immer noch da und frisst Gras. In mir ist bei dem Gedanken ein diffuser, gigantischer Schmerz. Ich bin natürlich ein paar Tage später wieder hingefahren. Den Hasen habe ich nicht mehr gesehen. Und unter den Zäunen ist eine genügend große Lücke zum Boden, so dass ein Hase gut durchpasst.
Die Stadt wächst weiter. Es werden Pläne gemacht, Projekte entwickelt, Plakate aufgestellt, es wird vermietet, gegraben, zertrümmert und gebaut. Es gibt Restaurants, Büros und Veranstaltungen. Ich habe mich verabschiedet von diesem Ort.